Die Elfe aus dem Buch
Albert gähnt herzhaft, bevor er sich gemütlich auf der Fensterbank des alten Leuchtturms einrollt. Langsam wird es dunkel und die Sonne verabschiedet sich mit einem wunderschönen rot- und lilagefärbtem Himmel vom Tag. Mimi hüpft mit einem großen Sprung vom Schreibtisch des Professors auf Albert und kuschelt sich in sein Fell. Eigentlich sind Katzen und Mäuse nachtaktive Tiere, aber Albert hat sich im Laufe seines Lebens den Menschen angepasst und mag nicht mehr nachts um den Leuchtturm herumschleichen und Motten aufschrecken. Und weil Mimi den ganzen Tag mit Albert unterwegs ist, ist sie abends auch immer so müde, dass sie schon beim Abendbrot herzhaft gähnen muss.
So ist es auch heute und Mimi gräbt sich ganz tief in Alberts weiches Fell hinein. Aber ganz so schnell einschlafen, das möchte sie nicht. Sie hat noch ein Bitte an den alten Kater. „Albert … würdest du mir noch eine Geschichte erzählen?“ Der alte Kater gähnt, sagt aber keinen Mucks. Doch Mimi lässt nicht locker . „Bitte, bitte, bitte , lieber Albert. Nur eine ganz kurze „Gute-Nacht-Geschichte.“ Albert seufzt ergeben und sagt dann: „Also gut, aber nur eine ganz kurze.“ „Hurraaa!“, ruft Mimi und kuschelt sich noch tiefer in sein Fell.
Dann beginnt Albert mit seiner Geschichte:
„Das kleine Mädchen Lilli sitzt im Garten unter ihrem Lieblingsapfelbaum und liest. Dreimal hat sie das Buch schon komplett durchgelesen, doch es wird ihr niemals langweilig, darin zu schmökern. Es handelt von Elfen, Zauberern und Einhörnern. So gerne würde Lilli diese Welt besuchen, aber leider gibt es sie nur auf bedruckten Papier. Versonnen beobachtet sie die letzte Seite des Buches, auf dem eine Elfe mit grünen Flügeln abgebildet ist. Auf ihrem Kleid tummeln sich leuchtend gelbe Schmetterlinge und es sieht aus, als würden ihre Haare im Wind flattern. Doch was ist das? Hat die Elfe ihr da gerade zugewinkt? Lilli reibt sich die Augen. Da lacht die kleine Elfe und wackelt fröhlich mit ihren Flügeln. „Ich heiße Elfriede und wer bist du?“, fragt sie mit einer zarten Stimme. Vor Schreck wäre Elli fast das Buch aus den Händen gefallen. „Ich bin Lilli“, stammelt sie und kann ihr Glück kaum fassen: Die Elfe aus ihrem Lieblingsbuch spricht mit ihr! „Möchtest du eine Runde mit mir durch den Elfenwald fliegen?“, fragt Elfriede und wackelt dabei lustig mit ihren spitzen Öhrchen. „Geht denn das?“ Ungläubig schaut Lilli sie an. Ihre Wangen werden vor Aufregung ganz heiß. „Na klaro. Das geht so sicher wie es Sonnenschein im Sommer gibt! Gib mir deine Hand.“ Elfriede steckt ihre winzige Hand aus dem Buch heraus und Lilli tippt diese vorsichtig mit ihrem kleinen Finger an. Noch ehe sie sich versieht greift die Elfe danach und zack … steht Lilli neben ihr auf der Buchseite. Plötzlich ist sie überhaupt nicht mehr größer als Elfriede, stellt sie staunend fest. Die Elfe scheint das ganz normal zu finden und zückt einen glitzernden Zauberstab, aus dem ein feiner Nebel strömt, der an alle Farben des Regenbogens erinnert. „Jetzt bekommst du von mir Flugstaub, der für eine Stunde wirkt. Lass uns keine Zeit verlieren! Los geht’s!“ Ehe Lilli dich versieht ist sie ganz von dem bunten Staub eingehüllt und ihre Füße schweben über den Boden. Elfriede ergreift ihre Hand etwas fester und auf einmal erheben sie sich zusammen in die Lüfte. Lilli durchströmt eine warme Welle des Glücks. Es ist ein unglaublich schönes Gefühl fliegen zu können. Die kleine Elfe nimmt sie mit zum Elfenwald und sie können von oben die Einhörner beobachten, die friedlich auf einer Lichtung grasen. Das Märchenschloss am Waldrand sieht in echt noch viel schöner aus, als auf den Bildern im Buch. Lilli kann sich nicht satt sehen an den wunderschönen Türmen, dem Schlossgarten und den vielen bunten Blumen, die rund um das Schloss blühen. Sie duften so wunderbar süß, dass sie es bis dort oben riechen kann. Am allerschönsten aber findet sie, dass Elfriede an ihrer Seite ist.
Doch auch der schönste Ausflug geht einmal zu Ende. Die Stunde ist schon fast vorbei und der Flugstaub wird immer weniger. Da landen die beiden auf einem Baumwipfel und Elfriede nimmt Lilli zum Abschied noch einmal in den Arm. „Werde ich dich Wiedersehen?“, fragt Lilli und ist ein wenig traurig. „Aber natürlich. Du brauchst doch nur dein Buch aufzuschlagen und dich zu mir zu träumen. Dann können wir noch viele Abenteuer zusammen erleben.“ Mit diesen Worten lässt Elfriede ihre Hand los und schon eine Sekunde später sitzt sie wieder unter dem Apfelbaum in ihrem Garten. Das Buch mit der aufgeschlagenen Seite, die die kleine Elfe zeigt, liegt auf ihrem Schoß. „Hab ich das alles nur geträumt?“, überlegt Lilli und streicht vorsichtig über das Bild. Doch als plötzlich ein kleiner gelber Schmetterling auf ihrer Hand landet, ist sie sich sicher, dass sie das wirklich erlebt hat.
Und? Wie hat dir die Geschichte über Lilli und ihre Elfenfreundin Elfriede gefallen?“, fragt Albert, nachdem er die Geschichte beendet hat. „Schöööööön“, kommt es leise aus seinem Fell. „Ich möchte auch mal, dass Kinder uns in Pellewurm und Pellewürmchen besuchen“, seufzt Mimi und ihre Stimme klingt ganz schön schläfrig. „Wenn sie sich zu uns träumen, dann kann das jederzeit passieren“, sagt Albert, „aber nun Schlaf gut, Mimi.“ „Du auch, lieber Albert“, antwortet das Mäusemädchen und dann ist sie auch schon eingeschlafen.